Sabine hat mir eine Flasche Wein mitgebracht, eine Flasche Rotwein Côtes du Rhône aus dem Jahr 2013. Beim letzten Weinkauf in Südfrankreich hatte der Weinbauer ihr die Flasche geschenkt. Sie dachte gleich an mich und gibt mir jetzt strahlend das Reisesouvenir: „Die letzte Führung im Haus der Geschichte war so interessant. Für dich. Schau dir mal das Etikett der Flasche an.“
Ich staune und bin betroffen.
„Hommage: Centenaire Guerre 14-18“ steht auf dem Etikett, ein Soldat ist draufgezeichnet und links ein großer roter Fleck.
Zur Erinnerung an den großen Krieg, den 1. Weltkrieg, die Jahre 1914-1918.
Wie kommt man auf die Idee, zur Erinnerung an den 1. Weltkrieg einen Wein auszuzeichnen?
Ich kann mir keinen Anlass vorstellen, für den ich Lust und Laune hätte, diesen Wein zu entkorken. Auf was sollte ich anstoßen? Mit wem?
Was mache ich mit diesem Reisesouvenir?
Für mich ist Krieg niemals ein Mittel zur Lösung von Konflikten, Krieg ist immer eine Niederlage der Menschheit.
Erinnerung an den Krieg ist wichtig, die Aufarbeitung der Geschichte unverzichtbar.
In der aktuellen Sonderausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart werden die Sinneserfahrungen der Menschen vor hundert Jahren an der Front, in der Etappe und in der Heimat thematisiert:
Fastnacht der Hölle – Der Erste Weltkrieg und die Sinne.
Der ungewöhnliche Titel der Ausstellung ist ein Zitat von Ernst Jünger.
Die Fastnacht der Hölle
Durchtobt die Welt
Geselle, Geselle,
Wer zaudert, der fällt
Ernst Jünger, 25. September 1916
An fünf Sinnesstationen kann man Eindrücke nachempfinden:
„Fastnacht der Hölle“ führt den Ersten Weltkrieg vor Augen, bringt den Krieg zu Ohren, macht ihn fühlbar, veranschaulicht seinen Geschmack und Geruch.
Das ist das Konzept der Ausstellung.
Das ist ein ungewöhnlicher Ansatz, Geschichte zu erfahren.
Das geht „unter die Haut“.
Das Haus der Geschichte war auch an der deutsch-französischen Kooperation beteiligt, ein interaktives Spiel zum 1. Weltkrieg zu entwickeln.
Mit der Zeitmaschine 14-18 kann man eine Zeitreise machen.
Wie wäre es mir ergangen, hätte ich 100 Jahre früher gelebt?
Wie hätte ich den ersten Weltkrieg erlebt?
Ich kann wählen, ob ich männlich oder weiblich wäre, ob ich in Frankreich oder Deutschland lebe, welches Alter ich habe.
Wer war ich?
Wo war ich?
Was war ich?
Die Ergebnisse dieser interaktiven Recherche sind verbunden mit Exponaten der Ausstellung.
So kann man die Ausstellung spielerisch vor- oder nachbereiten.
Ich wäre übrigens eine Frau mittleren Alters, die in der Stuttgarter Oper schrecklich frieren würde im Winter 1917, weil seit Kriegsbeginn nicht mehr geheizt wird. Kinos und Theater erhielten keine Kohlezuteilungen mehr, weil die Rüstungsindustrie alles Brennmaterial brauchte zum Schmelzen von Metall. Vermutlich würde ich gegen die ständige Kälte eine Leibbinde tragen …
Ergänzend zur Zeitmaschine 14-18 kann man Tagebücher des Ersten Weltkrieges einsehen.
Wie haben diese Menschen den Krieg erlebt?
Die Künstlerin Käthe Kollwitz, der Schriftsteller Ernst Jünger oder der Fassmacher und Gewerkschafter Louis Barthas?
Ich bin froh, dass es diese verschiedenen Möglichkeiten gibt, sich der Geschichte anzunähern.
Aber den Wein, den kann ich nicht trinken.
Bitte verzeih mir Sabine.
Ich übergebe die Flasche Rotwein Hommage. Centenaire Guerre 14-18 dem Haus der Geschichte.
Ich hab die Kuratorin der Ausstellung schon gefragt. Die Historikerin Dr. Franziska Dunkel sagte, klar könne sie die Flasche Wein archivieren und ins Depot nehmen als Beispiel für Erinnerungskultur „100 Jahre danach“. Ich solle einen Zettel dazu schreiben …
Das hab ich hiermit gemacht.
Ein Beitrag für meine Blogparade: Reisesouvenirs.
Fastnacht der Hölle. Der Erste Weltkrieg und die Sinne.
4.April 2014 bis 01.März 2015
Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Konrad-Adenauer-Str. 16
70173 Stuttgart
Geöffnet: Di, Mi, Fr–So 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr
Öffentliche Führungen: sonntags 15.30 Uhr
Führungen in der Sonderausstellung für Gruppen können auch mit mir verabredet werden. Kontakt.
Buchtipp:
Liebe Frau Welz,
vielen Dank dafür, dass Sie dieses leicht makabre Mitbringsel unserer Sammlung gestiftet haben! Der Kriegswein ist ein gutes Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Frankreich und in Deutschland gepflogen wird.
Mit herzlichen Grüßen
Franziska Dunkel