Habt ihr schon gesehen?
An den Fenstern der ifa-Galerie im Alten Waisenhaus am Charlottenplatz in Stuttgart kleben Menschen: Ein Paar mittleren Alters, ein älterer Mann in einer leuchtend blauen Kiste, ein junger Mann, der einen Masten hochgeklettert ist und der die tunesische Flagge schwenkt.
Eine Revolution – von außen betrachtet
Wir sehen sie nur von hinten! Was beobachten sie?
Sollen wir uns hinten anstellen und ihren Blicken folgen?
Können auch wir Zeitzeugen werden?
Rosige Zukunft – Un Avenir en Rose ist der Titel der Ausstellung über aktuelle Kunst in Tunesien, die gerade in der ifa-Galerie Stuttgart eröffnet wurde.
Am 14. Januar 2011 hatte das tunesische Staatsoberhaupt Zine el-Abidine Ben Ali nach 23 Regierungsjahren angesichts wochenlanger Unruhen fluchtartig das Land verlassen. Auslöser der Unruhen war die Nachricht über die Selbstverbrennung des 26-jährigen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi am 17. Dezember 2010 in Sidi Bouzid, einer 250 Kilometer südlich der Hauptstadt Tunis im Landesinneren gelegenen Stadt.
Wie reagieren Künstlerinnen und Künstler als Zeugen und z.T. auch als Mitakteure einer Revolution auf solch einen historischen Umbruch?
Die in Tunis lebende Kunstwissenschaftlerin Christine Bruckbauer kam im Sommer 2011 mit der Idee einer Ausstellung zur ifa-Galerie nach Berlin. Sie wollte in Deutschland Kunstwerke zeigen, die von jungen tunesischen Künstlerinnen und Künstlern für ein tunesisches Publikum geschaffen wurden, vor oder während der Revolution. Nach einer ersten Präsentation im Herbst 2012 in Berlin wird die Ausstellung Rosige Zukunft – Aktuelle Kunst aus Tunesien nun in Stuttgart in der Ausstellungsreihe „connect“ der ifa-Galerie gezeigt.
Die von hinten fotografierten Menschen auf den Schaufenstern der ifa-Galerie sind eine Arbeit der tunesischen Künstlerin Aïcha Filali (geboren 1956 in Tunis). Sie sagt: „Ständig auf der Lauer nach den Fehlern und Schwächen der heutigen tunesischen Gesellschaft, versuche ich, mit jedem künstlerischen Projekt das soziale Verhalten in meinem Land aufzuzeigen.“
In ihren neuen Fotoarbeiten „Der tote Winkel“ zeigt sie Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten von hinten. Sie sagt: „Von vorne fotografiert … kann man alles Mögliche tun, um den Schein zu wahren. … Von hinten ist man schutzlos, ohne Gegenwehr, man hat kaum eine Wahl, ist völlig ausgeliefert.“
Die Fotografien der Aïcha Filali laden ein, die Revolution nicht nur von außen zu betrachten, sondern einen Schritt zu machen, über die Schwelle des Ausstellungsraums zu treten und aktuelle Kunst aus Tunesien aus der Nähe zu entdecken.
Öffnungszeiten der ifa-Galerie:
Dienstag bis Sonntag 12 – 18 Uhr. Montags geschlossen.
Öffentliche Führungen incl. Aperitif mit Andrea Welz
Eintritt frei/ Führung kostenlos!
Der hervorragende Ausstellungskatalog, der über die ausgestellten KünstlerInnen hinaus einen Überblick über Kunst und Politik in Tunesien von 1957 bis 2012 und Perspektiven zeitgenössischer Kunst in Tunesien nach der Revolution gibt, ist im Kerber-Verlag erschienen. Die gekennzeichneten Zitate der Künstlerin Aïcha Filali sind dem Katalog entnommen.
Die Ausstellung Rosige Zukunft – Aktuelle Kunst aus Tunesien wurde in der ifagalerie Stuttgart vom 25.01.2013 bis 16.03.2013 gezeigt.
Ein Gedanke zu “Eine Revolution – von außen betrachtet”
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