Es war ein schöner Nachmittag in Neapel. Nach der Ankunft am Flughafen Capodimonte sind wir gleich ins Museo di Capodimonte gefahren, um die großartige Gemäldesammlung anzuschauen. Eindrucksvoll die Papstbilder von Tizian aus der Farnesesammlung, Werke von Masaccio, Simone Martini, Sandro Botticelli, Raffael, Pieter Breughel, Caravaggio und El Greco. Man spaziert von Highlight zu Highlight. Schade, das Gemälde Vesuvius, das Andy Warhol nach dem schweren Erdbeben im November 1980 geschaffen und dem Museum später geschenkt hatte, war gerade nicht ausgestellt. „Es ist zur Zeit in London!“, sagte die Aufsicht. Dafür hängen große Werke von Anselm Kiefer und eine Arbeit von William Kentridge, der auch die künstlerische Ausstattung der neuen Metrostation Toledo realisiert hat. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich nicht ahnen, dass ich wenig später selbst ein starkes Erdbeben erleben würde.
Erfreulicherweise war mein Busfahrer hoch motiviert zur Stadtrundfahrt durch Neapel, die ich reserviert hatte. Er war gerne bereit, mit mir die „Cartolina“ zu machen, d.h. Orte anzufahren, um die „Postkartenansicht“ von Neapel zu zeigen. Man muss die Stadt erst einmal von außen sehen, um ein Bild von der Stadt zu bekommen, ihre Struktur zu verstehen und ihre Schönheit zu entdecken.
Eindrucksvoll der Blick auf die phlegräischen Felder am Golf von Pozzuoli und die Villen der Superreichen am Hügel Posillipo. Wir fahren am Yachthafen Mergellina vorbei und natürlich am Fischerhafen des Borgo Santa Lucia. Pasquale, der Fahrer, entwickelte den Ehrgeiz mit seinem Bus elegant durch engste Gässchen zu fahren, um uns die schönsten Aussichten zu ermöglichen. Zum Abschluß noch das Castelnuovo, Teatro San Carlo, die Einkaufsgalerie Galleria Umberto I. und Palazzo Reale in Weihnachtsstimmung.
Kurz vor 18 Uhr waren wir endlich im Hotel nahe der Via Toledo angekommen, Zimmerverteilung. Gerade hatte ich mein Zimmer im 8. Stock des Hotels bezogen und wollte meinen Koffer auspacken. Ich hatte mich gebückt, da passierte es:
Erdbeben! Erdbeben in Napoli!
Es dauerte vielleicht Sekunden. War es ein Rumpeln, ein Grollen? Wie soll ich diesen Moment beschreiben? Ich wurde von außen bewegt, ich meine, es war eine Bewegung von links nach rechts, hin und her, gefühlte 40-50 Zentimeter, ein Schwanken, mit einem dumpfen Geräusch verbunden. Ich hatte keinen Zweifel, das war ein Erdbeben! Was tun?
Sofort das Hotel verlassen, dachte ich! Zum Glück hatte ich die Schuhe noch an, ich schnappte den Mantel und das Mobiltelefon und raus aus dem Zimmer ins Treppenhaus. Nein, kein Lift im Notfall! Zu Fuss die Treppen hinunter! Ich hörte unter mir andere Leute ins Treppenhaus kommen, auf meinem Stockwerk blieb es ruhig! Warum? Hatten die anderen das Beben nicht bemerkt? Ich rannte hinunter und holte eine italienische Familie vor mir ein, die laut und gestikulierend in Panik hinunterstolperte. Die Mutter war gar nicht vollständig angezogen, die Schuhe offen … Wo geht es hinaus? Wann kommt endlich das Erdgeschoß? Endlich waren wir unten!
In der Lobby waren wenig Leute! Warum? Wo sind meine Reisegäste? Ich stürmte an die Rezeption! Was war das? Ein Erdbeben? Ein Erdbeben! War das zum ersten Mal heute? Ja.
Der Portier sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, das Hotel sei alt und hätte auch schon das schlimme Erdbeben im November 1980 überstanden.
Aber sie sperrten doch vorsichtshalber die Aufzüge, der Zivilschutz hätte das so angeordnet. Was sollen wir tun? Nichts. Warten.
Ich setzte mich in die Bar, neben die italienische Familie, die jetzt alle in ihre Smartphones hackten! Zum Glück hatte ich mein Telefon eingesteckt, ins Zimmer wollte ich nicht zurück. Ich dachte noch an den Witz, verlassen sie erst das Gebäude, bevor sie darüber twittern!
Ich bestellte eine Flasche Wasser und gab den Hashtag #terremoto #Napoli ein.
Erdbeben in Italien! 18.15 in Napoli! RT “@Gustavoben86: @YouReporter 4.9 pic.twitter.com/toszN6sVaN”
— Andrea Welz (@kunstundreisen) 29. Dezember 2013
@Gustavoben86 what app you have? I need it!! I felt the terremotto in the 8th Floor in Napoli!
— Andrea Welz (@kunstundreisen) 29. Dezember 2013
Ich lade mir gleich die von Gustavo Benedetto erwähnte App herunter:
INGV Istituto Nazionale di Geofisica e Vulcanologia.
Der Tweet von @repubblicait bestätigt es: #terremoto a Napoli
Forte scossa di #terremoto a Napoli: avvertita anche in parte della Campania e in Molise http://t.co/mF5dIGmtgY pic.twitter.com/VifuYULXWb
— la Repubblica (@repubblicait) 29. Dezember 2013
Ich kann euch nicht beschreiben, wie mir zumute war. Ich erinnere mich, als Jugendliche in den 1970er Jahren einmal zuhause nahe Stuttgart ein Erdbeben mit Epizentrum auf der Schwäbischen Alb erlebt zu haben. War es 1978? Was tun? Kurz vor 19 Uhr ging ich wieder auf mein Zimmer in den 8. Stock, zu Fuß natürlich, der Aufzug war immer noch gesperrt. Wenig später war ich mit meinen Reisegästen zum Abendessen verabredet.
Der Hunger besiegte die Angst und die Sorge.
Wir gingen zum Abendessen aus. Auf der Einkaufsstraße, der Via Toledo waren viele Menschen unterwegs. Zum Bummeln, zum Einkaufen. Maronenverkäufer rösteten ihre Maronen, Asiaten schoßen ihre leuchtenden Neonspielzeuge in die Luft und hofften auf Kunden. Andere hatten Stände aufgebaut mit Handyhüllen im Angebot. War da gerade eine Schiffsladung im Hafen angekommen? Manche Geschäfte waren mit roter Unterwäsche dekoriert. Unverzichtbar in der Silvesternacht, rote Wäsche zu tragen. Das soll Glück bringen im neuen Jahr, Glück in der Liebe. Das kann man brauchen.
Das gute Abendessen in der Hosteria Toledo, der Wein, die nette Gesellschaft hatte meine Anspannung nach dem Erdbeben etwas gemildert.
Hoffentlich bleibt die Nacht ruhig nach dem Erdbeben kurz nach 18 Uhr in #napoli ich bin so erschrocken
@kunstundreisen unter den Türrahmen oder einen fetten Tisch, und auf jeden Fall weg vom Fenster! Rausgehen ist nicht so gut..
— dani (@danintown) 29. Dezember 2013
Ich hatte weder einen „fetten Tisch in meinem Zimmer, noch erschien mir sinnvoll, mich im Fall der Fälle unter einen Türrahmen zu stellen. Ich wohnte schließlich im 8. Stock. Über mir war der Himmel … Ich hoffte das Beste, für mich und Neapel.
Die Nacht blieb ruhig, nur die Musik drang von draußen im mein Zimmer. Trommeln und Stimmen … aber das war besser als Erdbeben.
Erdbeben in Neapel.
The Morning after, der Morgen danach war schön in Napoli …