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Fondation Beyeler: Das schwarze Quadrat

Es war ein Skandal!

Petrograd (St. Petersburg) 1915
Vor hundert Jahren, am 19.12.1915 wurde in der Galerie von Nadeschda Dobytschina, die sie in ihrer Wohnung eingerichtet hatte, eine Ausstellung mit mehr als 150 Werken von 14 Künstlern eröffnet. Der Titel der Ausstellung war Programm: Die letzte futuristische Ausstellung der Malerei 0,10 (null-zehn)

Vermutlich war es eine Idee von Kasimir Malewitsch. 0,10 war der Code. Die Null sollte für die Zerstörung der alten Welt stehen und auch den Neubeginn symbolisieren. Zurück auf Null! Die Zehn bezog sich auf die ursprünglich geplante Zahl an teilnehmenden Künstlern. Tatsächlich hatten 14 Künstler an der Ausstellung teilgenommen: 7 Männer und 7 Frauen. Die teilnehmenden Frauen wollten sich auch „Künstler“ nennen und lehnten die weibliche Form „Künstlerin“ ab. Nun forderte man die Abkehr vom Futurismus italienischer Prägung, den die russischen Künstler in Paris kennengelernt hatten. Das Zentrum der Ausstellung muss der Raum Malewitschs gewesen sein. Ein inzwischen legendäres Foto hat sich davon erhalten:

 

Der Raum von Malewitsch mit Schwarzem Quadrat und weiteren suprematistischen GemäldenRussisches Staatsarchiv für Literatur und Kunst, Moskau
Der Raum von Malewitsch mit Schwarzem Quadrat und weiteren suprematistischen Gemälden
Russisches Staatsarchiv für Literatur und Kunst, Moskau

 

Laut Katalog der damaligen Ausstellung war Malewitsch mit 39 Werken vertreten, die vermutlich alle in unregelmäßiger Reihung nebeneinander und übereinander in diesem Salon hingen. Der Skandal war: Das Schwarze Quadrat (1915) von Malewitsch hing leicht gekippt in einer oberen Ecke des Raumes. Diese Stelle eines Zimmers, der Gotteswinkel war in einem russisch-orthodoxen Haushalt traditionell der Ikone vorbehalten. In der orthodoxen Kirche sind Ikonen mit der Darstellung der Mutter Gottes oder anderen Heiligen Kultbilder, keine Kunstwerke. Sie sind kirchlich geweiht und stehen für die Gegenwart Gottes, die in der Betrachtung erfahrbar wird. Kasimir Malewitsch bricht mit diesen Traditionen. Was für eine Provokation! Oder verweist er mit seinem schwarzen Quadrat auf den unsichtbaren, abstrakten Gott? Darüber kann man streiten. Auf alle Fälle: Das schwarze Quadrat wurde zur Ikone der abstrakten Kunst!

Malewitschs Idee war der Suprematismus. Er hatte das Wort auf ein Stück Papier gekritzelt und an die Wand gehängt. Auf dem Foto ist der Zettel links zu sehen! Malewitsch verstand unter Suprematie die Vorrangstellung der reinen Empfindung vor der gegenständlichen Natur. Spannend, dass er dieses neue Konzept zunächst mit den Nicht-Farben Schwarz und Weiss ausdrückte!

Kasimir Malewitsch:
„Es war dies kein ‚leeres Quadrat‘, was ich ausgestellt hatte, sondern die Empfindung der Gegenstandslosigkeit.“

 

Kein Quadrat: Santiago Sierra, 1 0f 4000 Black Posters, Basel, Oktober 2015  – Fondation Beyeler Riehen/ Basel – Foto © Welz

 

Fondation Beyeler/ Riehen 2015
Nach jahrelangen Recherchen zeigt die Fondation Beyeler in der Sonderausstellung „Auf der Suche nach 0,10 – Die letzte futuristische Ausstellung der Malerei“ bis zum 10. Januar 2016 eine kritische Rekonstruktion der historischen Petersburger Ausstellung zum 100. Jubiläum mit wertvollen Leihgaben aus Museen weltweit. Gastkurator der Ausstellung ist Matthew Drutt. Neben Kasimir Malewitsch ist auch sein Kontrahent Wladimir Tatlin mit seinen revolutionären Konter-Reliefs vertreten. Weitere Künstler der russischen Avantgarde: Natan  Altman, Xenia Boguslawskaja, Wassili Kamenski, Anna Kirillowa, Iwan Kljun (eigentlich Kljunkow), Michail Menkow, Vera Pestel, Ljubow Popowa, Iwan Puni (Jean Pougny), Olga Rosanowa, Nadeschda Udalzowa und Marie Vassilieff.

 

Fondation Beyeler Riehen: Tony Smith, Ten Elements, 1975-79. Foto © Welz
Fondation Beyeler Riehen: Tony Smith, Ten Elements, 1975-79. Foto © Welz

 

Black Sun
Die Ausstellung Black Sun ist eine Hommage an Malewitsch. Die Fondation Beyeler zeigt parallel zur Sonderausstellung „Auf der Suche nach 0,10. Die letzte futuristische Ausstellung der Malerei“ Malereien, Skulpturen, Installationen und Aktionen von insgesamt 36 zeitgenössischen Künstlern: Josef Albers, Carl Andre, Alexander Calder, Olafur Eliasson, Dan Flavin, Lucio Fontana, Günther Förg, Felix Gonzalez-Torres, Wade Guyton, Damien Hirst, Jenny Holzer, Donald Judd, Ilya und Emilia Kabakov, Wassily Kandinsky, On Kawara, Ellsworth Kelly, Yves Klein, Sol LeWitt, Agnes Martin, Piet Mondrian, Jonathan Monk, Barnett Newman, Palermo, Philippe Parreno, Sigmar Polke, Ad Reinhardt, Gerhard Richter, Mark Rothko, Robert Ryman, Richard Serra, Santiago Sierra, Tony Smith, Jean Tinguely, Rosemarie Trockel, Andy Warhol and Lawrence Weiner.

Ausgangspunkt der Werke sind das Schwarze Quadrat und die Farbe Schwarz, aber auch die Gegenstandslosigkeit. Unterschiedliche Positionen werden in den Ausstellungsräumen und im Garten der Fondation Beyeler gezeigt.

 

Mein Selfie für AntiselfieClub - Fondation Beyeler - Foto © Welz
Quadrat schwarz: Mein Selfie für AntiselfieClub – Fondation Beyeler – Screenshot  © Welz

 

Der Anti-Selfie-Club
Malewitsch variierte das schwarze Quadrat. Aus mehreren Quadraten entsteht ein schwarzes Kreuz. Bringt man das Quadrat in Rotation, so entsteht ein Kreis. Im Begleitprogramm zur Ausstellung «Black Sun» hat die Fondation Beyeler den sog. „Anti-Selfie-Club“ gegründet. Dein Handy funktioniert nicht, du brauchst einen Computer mit einer Webcam, um dein Selfie zu machen. Das Programm wählt ein Kreuz, einen Kreis oder ein Quadrat, um dein Selfie zu zerstören! Probier es aus! Mache dein Anti-Selfie!
Willkommen im Anti-Selfie-Club!

Bloggerin Angelika Schoder hat ausführlich über das Anti-Selfie geschrieben: „Besser als Benedict Cumberbatch: Über Photobombing und Anti-Selfies,“ in MusErMeKu, 14/10/2015, http://musermeku.hypotheses.org/4971.

 

Durch das Fenster gesehen: Black Sun von Damian Hirst - Fondation Beyeler - Foto © Welz
Durch das Fenster gesehen: Black Sun von Damian Hirst – Fondation Beyeler – Foto © Welz

 

Black Sun, das großformatige Werk von Damian Hirst nimmt die Idee von Malewitschs Schwarzem Kreis von 1915 auf. Das Werk besticht durch ein intensives Schwarz und eine strukturierte Oberfläche. Ist es ein Teppich? aus Wolle geknüpft? Nein. Bei genauer Betrachtung stellt sich heraus, dass sich der Künstler als „Herr der Fliegen“ inszeniert. Die schwarze Sonne ist aus unzähligen toten Fliegen geschaffen und gehört zu den sog. Fly paintings des Künstlers. Memento Mori.

Santiago Sierra verlässt mit seiner Kunstaktion die Ausstellungsräume der Fondation Beyeler in Riehen und setzt sie im Außenraum, im Garten und im öffentlichen Raum der Stadt Basel fort. 4000 schwarz bedruckte Poster sind in Basel plakatiert worden. Kunst dringt in den Stadtraum ein und sorgt garantiert für Irritationen.

Die Ausstellung Black Sun kann man auch zuhause spielerisch entdecken mit dem Black Sun Image Browser.
Aber nichts kann einen Besuch des Museums ersetzen! Die Fondation Beyeler ist großartig, nicht zuletzt durch die überzeugende Architektur von Renzo Piano und den herrlichen Garten.

 

Auf der Suche nach 0,10 – Die letzte futuristische Ausstellung der Malerei
Black Sun
Sonderausstellungen in der Fondation Beyeler bis 10.01.2016.

FONDATION BEYELER
Baselstrasse 101
CH-4125 Riehen / Basel
Tel. +41 – 61 – 645 97 00
Fax +41 – 61 – 645 97 19
E-Mail: info@fondationbeyeler.ch

Öffnungszeiten:
Montag bis Sonntag von 10.00 bis 18.00 Uhr und mittwochs von 10.00 bis 20.00 Uhr an 365 Tagen im Jahr.

Der Katalog der Ausstellung wurde herausgegeben von der Fondation Beyeler Riehen/ Basel und bietet Essays von Matthew Drutt, Sam Keller, Anatolij Strigalev, Anna Szech und Maria Tsantsanoglou und historische Dokumente. Gestaltung von Miko McGinty.

 

 

 

 

 

 

Bloggerreise #bskunstreise15

Danke für die freundliche Einladung zur Bloggerreise nach Basel #bskunstreise15 an Nadja Elia-Borer von Art & Design Museums Basel und an die Fondation Beyeler, vertreten durch Elena DelCarlo und Mirjam Baitsch.

Mit von der Partie waren Anita und Nick, Reiseblogger aus der Schweiz travelita.ch
Angelika für Museum-Erinnerung-Medien-Kultur MusErMeKu
Michelle für museumlifestyle und Sam für das englischsprachige online magazine about switzerland Newly Swissed

Es hat Spaß gemacht mit euch! Ich bin gespannt auf eure Blogs!

 

 

 

 

 

 

 

 

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8 Gedanken zu “Fondation Beyeler: Das schwarze Quadrat

  1. Angelika sagt:

    Liebe Andrea,

    die Fondation Beyeler bietet mit der Ausstellung einen Blick in die Vergangenheit und zugleich mit der Begleitausstellung Black Sun einen Verweis auf die Gegenwart. Danke für den blitzschnellen Überblick zu den beiden Ausstellungen.

    Es hat mich gefreut, die bei der #bskunstreise 15 kennenzulernen!

    Viele Grüße aus Hamburg
    Angelika

  2. Liebe Andrea
    ein Artikel, der einen wunderbaren Überblick verschafft. Herzlichen Dank.
    Der Katalog ist übrigens auch in unserem Webshop erhältlich: http://shop.fondationbeyeler.ch/de/artikel/auf-der-suche-nach-0-10—die-letzte-futuristische-ausstellung-der-malerei-24680

    Herzlich,
    Mirjam

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