Reiseblog

I AM NOT YOU Krištof Kintera im MUSEUM TINGUELY Basel

Im Solitude-Park in Basel stehen Hamburger Gitter mit angeschweißten Stahlrohrgeweihen wie Hirsche auf einer Waldlichtung. Eine Straßenlaterne ist geköpft und liegt getrennt von ihrem Fundament auf der Wiese, doch leuchtet trotzdem, auch tagsüber. Der Eingang ins Museum Tinguely ist geschlossen, mit großen Hinweisschildern wird der Besucher zum Notausgang dirigiert. Dort kommt man jetzt rein ins Museum.

Krištof Kintera, Lay Down and Shine, 2009 - Solitude-Park Museum Tinguely Basel, 2014 - Foto © Welz
Krištof Kintera, Lay Down and Shine, 2009 – Solitude-Park Museum Tinguely Basel, 2014 – Foto © Welz

Welche Überraschung! Man befindet sich unerwartet in einem Billigladen für Billigkleidung und Billighandtaschen, der gerade Sonderverkauf macht! SALE. Auf alles 50 %! Sensationelle Preise!

 

Krištof Kintera, Shop im Museum Tinguely, 2014 - Foto © Welz
Krištof Kintera, Shop im Museum Tinguely, 2014 – Foto © Welz

 

Zwischen den Kleiderständern und Wühlkörben steht eine kindgroße Puppe mit rotem Kapuzenpulli und Jeans, die sich plötzlich bewegt und zu sprechen anfängt! Ein Talkman.
Was sagt sie?

 

Krištof Kintera, Talkman im Shop Musuem Tinguely, Basel 2014 - Foto © Welz
Krištof Kintera, Talkman im Shop Musuem Tinguely, Basel 2014 – Foto © Welz

In einer Vitrine werden merkwürdige Elektrogeräte angeboten, die eine sehr sinnliche Form haben, deren Funktion ich aber nicht verstehe! Sind das etwa … ?

Was ist hier eigentlich los?
Ich wollte doch ins Museum Tinguely.

 

Krištof Kintera, Primasan/ Objekt im Shop im Museum Tinguely, Basel 2014 - Foto © Welz
Krištof Kintera, Primasan/ Objekt im Shop im Museum Tinguely, Basel 2014 – Foto © Welz

Die Kasse am Eingang vom Billigshop ist nicht besetzt.
Weiter hinten finde ich eine Kasse und Bücher! Bücher, Museumskataloge über Jean Tinguely.
Also bin ich doch richtig?
Der Mitarbeiter an der Kasse bestätigt mir, dass ich im Museum Tinguely sei.

Mengele Totentanz von Jean Tinguely
Im Nebenraum vom Billig-Billig-Shop entdecke ich den eindrucksvollen Mengele Totentanz von Jean Tinguely aus dem Jahr 1986, eine große Rauminstallation aus vierzehn Maschinenplastiken hergestellt aus Eisenschrott, Erntemaschinen der Firma Mengele, einem Hippopotamus-Schädel und Elektromotoren.
Auf der Galerie des Museums sind weitere Werkgruppen von Jean Tinguely zu sehen.

Krištof Kintera
Doch die große Halle steht dem jungen tschechischen Künstler Krištof Kintera (1973 geboren in Prag) zur Verfügung. Noch bis zum 28.September 2014 werden über 30 seiner teils grossformatigen Skulpturen und Installationen im Museum Tinguely und im Museumspark Solitude gezeigt: Sonderausstellung Krištof Kintera. I AM NOT YOU

Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Ein Putzeimer rutscht durch die Halle und plappert vor sich hin: A bigger problem than yours.
„It“ aus dem Jahr 1996 ist eine Skulptur auf Rollen, die aussieht wie eine riesige Computermaus. Der Besucher darf sie hinter sich herziehen, um die Erfahrung zu machen, wie es sich anfühlt, wenn man Kunst bewegt! Gut fühlt sich das an! Mir macht die Ausstellung Spaß! Aber würde ich mich auch in den öffentlichen Raum der Stadt mit diesem Kunstwerk trauen?

Es gibt einen gepanzerten Kinderwagen mit Camouflage-Muster-Stoff bezogen:
Bad innovation in the name of protection (2007).
„Kinder sind dem Künstler wichtig, man solle sie unbedingt schützen“, meint Patricia Hug, die mir durch das Labyrinth der Ausstellung hilft.
Doch der Künstler schont Kinder und die Nerven der Ausstellungsbesucher nicht. Im Laufe des Ausstellungsparcours wird man immer tiefer in die Katakomben des Museums hinuntergeführt. Man hört laute Hammerschläge. Sind hier Handwerker bei der Arbeit? Merkwürdig.
Nein. Unten angekommen findet man ein Roboter-Kind mit dem Gesicht zur Wand stehen, das sich mit aller Gewalt den Kopf einschlägt. Pure Verzweiflung? Entkommen aus dem Wahnsinn der Welt? Revolution heißt die bedrückende Arbeit.
Warum? Die Kunstwerke stellen mir viele Fragen.

Die Ausstellung ist spannend, überraschend, ein bisschen unheimlich, beklemmend, aber auch witzig.
Man kann lachen und man könnte weinen.

Jean Tinguely hätte die Ausstellung sicher gefallen. Auch sein Werk ist widersprüchlich. Heiter und traurig. Lebenslust und Totentanz.

Der Katalog zur Sonderausstellung von Krištof Kintera ist ein großes Kunstwerk zum kleinen Preis von 68 CHF, handgemacht vom Künstler und seinem Team. Er ist ausschliesslich erhältlich im Museumsshop. Man sucht sich einen gestalteten Schuhkarton aus und bekommt dazu eine Loseblattsammlung, handgeschrieben oder getippt, mit Dokumenten und Fotos aus der Werkstatt des Künstlers. Das erinnert mich an die Fluxusschachteln der Fluxus-Künstler um George Maciunas.
Ich freue mich, dass ich die schwere Kunstschachtel nach Hause tragen kann. Ich muss nur noch überlegen, wie ich meine zukünftigen Erben, die mal meinen Haushalt auflösen müssen, davon überzeugen kann:

Das ist Kunst und darf nicht weg!

Katalog der Ausstellung Krištof Kintera im Museum Tinguely, Basel 2014 – Foto © Welz

Museum Tinguely
Paul Sacher-Anlage 2
CH-4002 Basel
Öffnungszeiten: Di bis So 11 – 18 Uhr Mo geschlossen

Danke an Patricia Hug für den freundlichen Empfang im Museum Tinguely und die gute Einführung in die Sonderausstellung von Krištof Kintera.

 

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3 Gedanken zu “I AM NOT YOU Krištof Kintera im MUSEUM TINGUELY Basel

  1. Gisela Hitzfeld sagt:

    Liebe Frau Welz,
    vielen Dank mal wieder für Ihren interessanten Beitrag zum zur Ausstellung in Basel.
    Ich habe den Tipp gleich an meine Tochter weitergegeben, die im Augenblick in Lörrach ist und ein paar Tage frei hat.
    Nett finde ich auch Ihren sympathischen Schlusssatz zur Entsorgung dieses „Katalogs“ irgendwann. Solche Gedanken kommen mir bei diesen Gelegenheiten auch immer wieder,da nicht jeder den emotionalen Wert eines Pappkartons nachvollziehen kann, dessen Inhalt für einen selber so wichtig ist.
    Ich freue mich jedesmal, Neues und Spannendes durch Ihre so wunderbaren Beiträge zu erfahren. Mit einem ganz lieben Gruß
    Gisela Hitzfeld

    1. Andrea sagt:

      Liebe Frau Hitzfeld, ihr Interesse an meinen Blogbeiträgen freut mich riesig! Es ist so schön, dass sie mir das rückmelden! Ich schreibe so gerne und hab noch viel mehr Ideen im Kopf für Bloggeschichten, leider komm ich zu selten dazu. Ihr Lob ermutigt mich, dranzubleiben … Herzliche Grüsse Andrea Welz (zur Zeit in der Toskana)

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