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OCCUPY ? Theater !

Endspurt! Die Blogparade „Alles ’nur‘ Theater!?“ ausgerufen vom social media sehr aktiven Theater Heilbronn läuft nur noch bis zum 10.02.2014. Alle Blogger sind aufgefordert über Theater, Oper, Tanz, Figurentheater etc. zu schreiben. Aber: Jeder kann mitmachen!
Eine Blogparade ist eine Mitmachaktion für alle! Wer keinen eigenen Blog hat, schickt seinen Artikel an das Theater Heilbronn. Sie posten den Artikel dann auf ihrem Theaterblog.

Eigentlich habe ich gar keine Zeit, um über meine Theatererfahrungen oder Erlebnisse zu schreiben. Obwohl mich das Theater Heilbronn via Twitter schon im Januar zur Blogparade und einem Theaterabend für Blogger eingeladen hatte, hatte ich bislang keine Idee. Aber der Beitrag der unermüdlichen, motivierenden Tanja Praske „Mehr Theater – über das digitale hin zum analogen Kulturerlebnis“ hat mich angeregt, doch noch nachzudenken …

Leider gehe ich selten ins Sprech-Theater. Durch meine freiberufliche Tätigkeit im Kulturbereich, ich führe Einzelne und Gruppen in Museen und Städten, ich leite Kunsttage und Studienreisen, habe ich einen sehr abwechslungsreichen Kalender. Jeder Tag, jede Woche, jeder Monat, jedes Jahr ist anders. Ich arbeite in Stuttgart und an vielen anderen Orten. So muss ich viel planen und organisieren, viel zu selten plane ich in meiner Freizeit einen Theaterbesuch ein.

In Erwartung ... Opernhaus Stuttgart - Foto © Welz
In Erwartung … Opernhaus Stuttgart – Foto © Welz

Unterwegs in Italien
Natürlich komme ich auf meinen Studienreisen auch in große Opernhäuser. Ich genieße es sehr, ab und zu eine Oper im Teatro San Carlo in Neapel, in der Scala in Mailand oder im Teatro La Fenice in Venedig zu hören. Ich liebe das Musiktheater: die große Bühne, die Musik, den Glanz der Kronleuchter, das ganze DrumRum …
Sehr oft habe ich auch schon eine Opernaufführung in einem venezianischen Palazzo gehört: Musica a Palazzo in Venedig. Das ist ein besonderes Erlebnis, denn die Distanz von Zuschauern und den Sängern und Musikern ist nahezu aufgelöst. Im 1. Akt sitzt man im Korridor des Palastes, wandert dann in den Salon für den 2. Akt und erlebt das Finale im Schlafzimmer! Herrlich! Man befindet sich als Zuschauer mitten im Geschehen.

Vor dem Schauspielhaus Stuttgart steht seit 1961 die Skulptur IKARUS von Wander Bertoni. - Foto © Welz
Vor dem Schauspielhaus Stuttgart steht seit 1961 die Skulptur IKARUS von Wander Bertoni. – Foto © Welz

Staatstheater Stuttgart
Zuhause in Stuttgart habe ich ein kleines Opernabo, 2 Plätze im 3. Rang. Da lade ich mir immer jemanden ein, um mit mir das Opernerlebnis zu teilen. In meiner Studentenzeit hatte ich angefangen, in die Oper zu gehen. Es war ja phantastisch. Mit dem Studentenausweis konnte man, wenn man Glück und Ausdauer hatte, an der Abendkasse die teuersten Plätze im Opernhaus für wenig Geld bekommen! Sobald ich abends mal überraschenderweise „kinderfrei“ hatte, hatte ich mich aufgemacht und mein Glück versucht! Ich hab im Laufe meines Studiums sicher mehr Opernaufführungen gesehen, als meine Kommilitonen ohne Kinder. Als Mutter muss man seine Zeit gut nützen!

Gesammelt! Programme Oper Stuttgart - Foto © Welz
Gesammelt! Programme Oper Stuttgart – Foto © Welz

Schauspiel Stuttgart: Die Gerechten/ Occupy
Ein ganz besonderes Theatererlebnis hatte ich aber im Sommer 2012. Meine Freundin Marta hatte mich gefragt, ob ich schon die neue Inszenierung von Volker Lösch im Schauspielhaus gesehen hätte. Natürlich hatte ich sie nicht gesehen! Ich konnte noch Karten für die Aufführung „Die Gerechten“ von Albert Camus besorgen. Es war ein überraschender, ungewöhnlicher Theaterabend, der mich lange beschäftigt hat. Wenn ich das kleine Programmheft durchblättere, erinnere ich mich wieder.

Es gab drei Handlungsebenen.
Handlungsebene 1: Im Jahr 1905 verübte eine Moskauer Gruppe von Sozialrevolutionären einen Anschlag auf den russischen Großfürsten Sergej Romanow. Eine wahre Geschichte! Aus diesem Stoff schrieb Albert Camus das Theaterstück „Die Gerechten“, Erstaufführung 1949.
Handlungsebene 2: 1951 veröffentlichte Albert Camus eine Sammlung philosophisch-politischer Essays unter dem Titel „Der Mensch in der Revolte“.
Handlungsebene 3: 2012 Occupy-Bewegung

Occupy-Wall-Street
Nach wenigen Minuten unterbrachen die Schauspieler die Aufführung des Stückes, das im Jahr 1905 spielte … „Endlich handeln“ stand als Aufforderung auf der Bühnenwand. Das Licht ging an im Zuschauerraum, die Schauspieler wandten sich ans Publikum und erklärten die Idee der Occupy-Wall-Street-Bewegung, die am 17. September 2011 in New York City begann und die bis zum 15. November 2011 den Zuccotti-Park im Finanzdistrikt Wall Street besetzt hielt.
Das Motto dieser Bewegung war: „We are the 99 percent“.
Die Schauspieler setzten sich an den Bühnenrand und fragten uns, das Publikum:
Gehörst du zu den 99 % oder zu den Top 1 % , die Vermögen besitzen?

Wir, die Zuschauer, erschrocken und selten geübt, im Theater oder sonstwo laut zu sprechen und unsere Meinung vor einer großen Gruppe öffentlich kundzutun, …

Was sollten wir antworten auf die provozierende Frage?

Stifte und Papier wurde ausgeteilt.
Dann lernten uns die Schauspieler zunächst die Gesprächsregeln der Occupy-Bewegung.

Wie funktioniert eine Asamblea?
Mikro-Check!
Jeder, der sprechen möchte, ruft zuerst „Mikro-Check“, seine unmittelbaren Nachbarn dienen als Sprachverstärker und antworten ihm „Mikro-Check“, um ihre Aufmerksamkeit und Bereitschaft zu signalisieren. Die Gruppe erteilt damit dem Sprecher das Wort.  Nun stellt der Zuschauer seine Frage oder gibt seine Antwort und seine unmittelbaren Nachbarn wiederholen gemeinsam sein Statement. Zögernd kamen die ersten Wortmeldungen:

„Ich gehöre zu den 99 % weil ich eine unzureichende Altersversorgung habe und voraussichtlich von Altersarmut bedroht sein werde.“
Interessanterweise bekannten sich auch die Schauspieler zu den 99 % … viele Stunden Arbeit, Überstunden, schlechte Bezahlung!

Diese Art der Sprachverstärkung durch das „Human Microphone“ entstand während der Besetzung des Zuccotti-Parks, da Lautsprecheranlagen durch die Polizei verboten wurden. Wir lernten auch die Handzeichen der Occupy-Bewegung, die dazu dienten, die Versammlung/ Asamblea basisdemokratisch zu organisieren.

OccupyHandSignals - Quelle: Wikipedia
OccupyHandSignals – Quelle: Wikipedia

Irgendwann ging das Licht wieder aus im Zuschauerraum, und die Schauspieler setzten das Theaterspiel auf der Bühne fort. Das Stück nahm seinen dramatischen Lauf bis zur nächsten Unterbrechung … Diskussionsvorschlag: Waffenexporte aus Baden-Württemberg.

Manche Zuschauer protestierten gegen diesen ungewöhnlichen Rhythmus eines Theaterabends und verliessen den Saal. Für die Dagebliebenen gab es Freibier.
Manche Kritiker zerrissen später in ihren Theaterkritiken die Vorstellung … So Thomas Rothschild in seinem Beitrag „Volker Lösch okkupiert das Theater und verbannt die Gerechten“ im Titel-Kulturmagazin.

Ich fand es einen dynamischen, anregenden Theaterabend, der mich nachhaltig beschäftigt hat.

„Kunst darf heute nur noch politisch sein und sonst nichts.“ So wird Oleg Worotnikow vom Künstlerkollektiv „Woina“ zitiert im Programmheft „Die Gerechten“ (hrsg. Schauspiel Stuttgart/ Staatstheater Stuttgart, S. 31)

Ich sollte öfter ins Theater gehen!

 

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8 Gedanken zu “OCCUPY ? Theater !

  1. Tanja Praske sagt:

    Liebe Andrea,

    klasse! Bin ich froh, dass ich dich hierzu motivieren konnte, sonst wäre uns ein toller Artikel entgangen.

    „Die Gerechten“ liest sich spannend – unvorhergesehen, irritierend und provozierend. Warum nicht? Es wurde scheinbar nachgedacht und nicht nur konsumiert #Ilike. Lob und Kritik liegen bei diesen Formaten dann sehr dicht beieinander.

    Weiterhin, ab ins Theater und davon berichten!

    Herzlich,
    Tanja

    1. Andrea sagt:

      Hallo Tanja, noch mal persönlich: danke für Motivation und deinen Kommentar. Ich freue mich, dass du dir Zeit nimmst meinen Blogartikel zu lesen! und ich bin gespannt auf weitere Kontakte, vielleicht auch einmal persönlich! Herzlich, Andrea

  2. Hallo Andrea Welz,

    wir freuen uns, dass Du Dich von Tanja Praske hast anstecken lassen, doch noch einen Blogbeitrag zu schreiben und bedanken uns ganz herzlich für den tollen Text! Dass die Inszenierung „Die Gerechten“ Dich zum Nachdenken gebracht hat und noch lange im Gedächtnis geblieben ist, hört sich nach einem wirklich spannenden Abend an.
    Wir hoffen, dass Du noch häufiger die Gelegenheit finden wirst ins Theater zu gehen.
    Es hat mich auch sehr gefreut, Dich beim #Kultup im Linden-Museum Stuttgart persönlich kennengerlernt zu haben – ein wirklich schöner Nachbericht auf Deinem Blog!
    Viele Grüße aus Deinem Theater Heilbronn,
    Katrin Schröder

    1. Andrea sagt:

      Liebe Katrin, ja, ich erinnere mich auch, dass wir uns beim #kultup im Lindenmuseum kurz gesprochen haben. Ich bin wirklich begeistert, was ihr im Theater Heilbronn für eine aktive Öffentlichkeitsarbeit macht! Davon können viele lernen, auch Museen! Bloggen ist wirklich eine gute Gelegenheit, Gedanken, Erlebtes zusammenzufassen und in Worte und Bilder zu bringen. Ich danke euch für die Motivation. Und ich verspreche euch: ich komme bald mal ins Theater Heilbronn! Herzliche Grüsse, Andrea

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